"Lügenpack, Lügenpack", rufen zwei Dutzend Menschen auf der Empore des dritten Stock des Landtags. Unten steht ein Politiker und versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Diese Konstellation ist eigentlich nichts Neues in Stuttgart. Wer in der Vergangenheit für das Bahnprojekt Stuttgart 21 war, der musste sich Schimpfwörter anhören. Gerufen von den Gegnern des Tiefbahnhofs, die ihrer Wut freien Lauf ließen.
An diesem Abend ist alles anders: Der Politiker ist kein konservativer Bahnhofsbefürworter, sondern Boris Palmer, Wortführer der S21-Gegner und grüner Tübinger Oberbürgermeister. Und jene, die ihn lautstark beschimpfen und niederbrüllen, stammen aus den Reihen der CDU. Sie haben sich den Schlachtruf der Konkurrenz kurzerhand zu Eigen gemacht. Jetzt, wo ihre Stunde gekommen ist, verzichten die Befürworter auf den Anstand, dessen Fehlen sie bei den Gegnern lange getadelt haben.
Für die Konservativen ist es ein traumhaft schöner Abend in Stuttgart. Je mehr Ergebnisse aus den baden-württembergischen Land- und Stadtkreisen im Landtag bekannt werden, desto lauter brandet der Jubel auf. Früh wird klar, dass die Volksabstimmung über Stuttgart 21 zugunsten der CDU-Position ausgehen wird. Knapp 59 Prozent stimmen am Ende gegen den Ausstieg aus der Finanzierung durch das Land. Der Tiefbahnhof wird kommen, allem Widerstand zum Trotz.
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