ZEIT Wissen: Frau Case, sind Sie ein Cyborg?
Amber Case: Ja. Ebenso wie Sie.
ZEIT Wissen: Ich? Wieso?
Case: Jedes Mal wenn Sie auf einen Computerbildschirm schauen oder Ihr Handy nutzen, gehen Sie eine Beziehung mit nicht menschlicher Technologie ein. Sie machen das regelmäßig, es gehört zu Ihrem Alltag. Somit sind Sie ein Cyborg. Das ist eigentlich nichts Besonderes, und dennoch sind viele überrascht, als wollten sie es nicht wahrhaben.
ZEIT Wissen: Vielleicht deshalb, weil viele bei dem Begriff Cyborg sofort an »Robocop« oder den »Terminator« denken...
Case: Schon möglich. Dabei wurde der Begriff zum ersten Mal 1960 in einem Artikel über Raumfahrt verwendet. Ein Cyborg, so heißt es dort, sei ein Organismus, dem körperfremde Komponenten hinzugefügt werden, damit er sich an eine neue Umgebung anpassen kann. Die Definition gilt noch immer, ist mit der Zeit jedoch ein wenig verfeinert worden.
ZEIT Wissen: Also sind Cyborgs Menschen, die nicht ohne Technik leben können – die sich von ihr beherrschen lassen.
Case: Das ist doch Unsinn! Die Technik steht im Dienst der Menschen. Wir schaffen Roboter, Handys und andere technische Geräte nach unseren eigenen Bedürfnissen. Sie machen uns funktionaler, produktiver, einfach besser. Die Technik macht uns zu Supermenschen.
ZEIT Wissen: Klingt nach einem Science-Fiction-Klischee.
Case: Nein. Genau da bewegen wir uns hin. Über Tausende von Jahren haben uns Werkzeuge körperlich stärker gemacht. Jetzt erleben wir eine Weiterentwicklung des mentalen Ichs. Die Veränderungen, die wir durchleben, fordern uns mehr heraus als jene Prozesse, die die industrielle Revolution mit sich brachte.
ZEIT Wissen: Das ist eine steile These – auch für eine studierte Cyborg-Anthropologin.
Case: Ich beobachte es jeden Tag auf Facebook, bei Twitter und in Blogs. Es ist offensichtlich: Autos machen uns schneller, das Internet lässt uns umfassender denken, und durch Netzwerke werden wir sozialer. In einer Studie habe ich mich damit auseinandergesetzt, welche Effekte die Mobiltelefonie auf soziale und räumliche Beziehungen hat. Das Ergebnis: Der öffentliche Raum wird durch die vermehrte Nutzung von Handys immer stärker privatisiert. Zeit und Raum schrumpfen, weil die Menschen immer und überall private Gespräche führen – ob auf der Straße, im Bus oder im Restaurant.
ZEIT Wissen: Es gibt viele Leute, die es massiv stört, intime Momente anderer mit anhören zu müssen...
Case: Die Beziehung der Menschen zur Technik ist zwar sehr individuell. Dennoch binden sich viele an ihr Gerät. Grob lassen sich drei Cyborg-Typen klassifizieren: Typ 1 nutzt seinen Computer nur manchmal, Typ 2 hingegen braucht ihn als ständige Referenz – die Person hat das Handy, das Smartphone oder den Tablet-Computer immer bei sich – und ein Cyborg-Typ 3 ist immer verbunden, hat den Blick ständig auf das Display gerichtet.
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