Hut ab, Sigmar Gabriel! Der SPD-Vorsitzende hat wieder Emotionen in die Überwachungsdebatte in Deutschland gebracht, die Menschen aufgerüttelt und bewegt. Und das mit acht dünnen Sätzen.
Auf seiner Facebook-Seite lobt und vereinnahmt Gabriel den Appell von 560 Schriftstellern aus aller Welt gegen die verdachtsunabhängige Massenüberwachung durch Geheimdienste. Er bezeichnet den Aufruf als "wunderbare und beeindruckende Aktion" und "tolles Zeichen". Er selbst werde "die deutschen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner Anfang des Jahres zu einem Gespräch einladen".
Etwas Schlimmeres hätte Gabriel kaum tun können, in mehrerlei Hinsicht. Denn erstens haben Hunderte Facebook-Nutzer dem SPD-Vorsitzenden umgehend klargemacht, wie scheinheilig seine Aussagen sind. Sie brauchten dafür eigentlich nur ein Wort: Vorratsdatenspeicherung.
Die führt genau das ein, was die 560 Schriftsteller in ihrem Aufruf und alle rund 18.000 Unterzeichner der dazugehörigen Petition anprangern: "Massenhafte Überwachung behandelt jeden einzelnen Bürger als Verdächtigen."
Die monatelange Aufbewahrung von Informationen darüber, wer wann wie lange mit wem und wo kommuniziert hat, ohne dass irgendein Verdacht vorliegt, stellt die Abschaffung der Unschuldsvermutung dar. Gabriel und seine SPD streben eben dies mit der Umsetzung der EU-Richtlinie 2006/24/EG in Deutschland an, zum zweiten Mal schon. So steht es im Koalitionsvertrag auf Seite 147.
Die Kommentare unter Gabriels Facebook-Eintrag fallen dementsprechend wütend aus, und zwar praktisch alle. "Verlogen", "Heuchler", "beschämend" – so steht es da hundertfach und völlig zurecht. Der Facebook-Eintrag hat also zunächst einmal Gabriel selbst und seiner Partei geschadet.
Zweitens – und das ist das eigentlich Schlimme – entwertet Gabriel mit seinem verlogenen Umarmungsreflex die Aktion der Schriftsteller. Er täuscht nämlich eine Handlung vor, die Einsicht suggeriert. So glaubt er, das Thema schnell wieder abwürgen zu können – er hat ja reagiert. Das vergiftete Lob bei Facebook soll tatsächliches politisches Handeln im Parlament und im Kabinett ersetzen. Damit wäre der Appell bereits verpufft, zumindest auf Seiten der SPD. Innerhalb eines halben Tages. Falls sich Sigmar Gabriel noch fragt, wie Politikverdrossenheit entsteht: Heute hat er sich selbst die Antwort gegeben.
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