Herr Lewandowski, können Sie uns erklären, warum im Genre Pornofilm der Orgasmus des Mannes masturbativ und extrokorporal erfolgen muss? Stellt dies einen sichtbaren Beweis für erfüllte Dienste dar oder tritt die Handlung des Films damit gewissermaßen aus dem Bildschirm hinein in die Realität des Zuschauers, der möglicherweise gleichfalls dabei ist, Hand an sich zu legen?
Sven Lewandowski: Nun, zunächst handelt es sich beim sogenannten cum shot, ganz ähnlich wie beim meat shop (der en detail gezeigten Penetration), um einen Realitätsbeweis. Belegt wird im einen wie im anderen Falle, dass die sexuelle Interaktion wirklich stattgefunden hat. Es geht also um "Beweise". In einem gewissen Sinne ist Pornographie ja auch ein pseudo-dokumentarisches Genre: Versprochen und gezeigt wird echter Sex. Man kann sich diesen Anspruch der Pornographie an einem einfachen Vergleich vor Augen führen.
Wenn man nach einem Film mit Gewalthandlungen erfahren würde, dass die gezeigte Gewalt tatsächlich ausgeübt wurde (also nicht lediglich gespielt wurde), so würde man wohl mit Entsetzen reagieren. Anders im Falle der Pornographie: Erführe man, dass die gezeigte Sexualität gar nicht wirklich stattgefunden hat, sondern "gefakt" wurde, so fühlte man sich wohl getäuscht. Zwar mag an pornographischen Darstellungen vieles gefakt sein, aber die Illusion des Authentischen scheint unverzichtbar zu sein und insofern muss auch "Echtes" gezeigt werden. Hinzu kommen Darstellungsprobleme in Bezug auf Orgasmen und da ist es natürlich am einfachsten, eine Ejakulation zu zeigen. Diese fungiert gewissermaßen als Chiffre männlicher Lust.
Allerdings wird man wesentlich tiefer ansetzen müssen, wenn man die Prominenz der extrakorporalen Ejakulation erklären will. So lässt sich das prototypische Skript der heterosexuellen Mainstreampornographie etwa als ein Mikrodrama des Verlusts und der Wiedergewinnung männlicher Subjektivität deuten. Über weite Strecken zeigt die heterosexuelle Mainstream-Pornographie einen männlichen Kampf sowohl um Kontrolle der weiblichen Sexualität als auch um Selbstkontrolle.
Überspitzt könnte man sagen, dass das Problem der Mainstream-Pornographie Frauen sind beziehungsweise weibliche Sexualität. Männer - zumindest so wie sie in der Pornographie dargestellt werden - unterliegen weiblichen Reizen und verlieren so die Kontrolle über sich und ihre Sexualität an Frauen. Zugleich scheint es aber für die Aufrechterhaltung heterosexueller Männlichkeit notwendig, mit Frauen sexuell zu verkehren. Sex mit Frauen scheint für Männer identitätsstützende Funktionen zu erfüllen. Sich als Frauen begehrend zu erleben, stellt einen konstitutiven Bestandteil heterosexueller Identität dar. Zugleich scheint jedoch männliche Identität, sofern Selbstkontrolle ebenfalls ein wichtiger Teil dieser ist, durch sexuelles Begehren auch gefährdet zu sein.
Mainstream-pornographische Inszenierungen handeln von einem Verlust der männlichen Selbstkontrolle an Frauen: Männer verlieren in der pornographischen Darstellung ihre Selbstkontrolle und Selbststeuerungsfähigkeit und werden gleichsam von ihrem durch Frauen ausgelösten Begehren fremdgesteuert. Aus psychoanalytischer Perspektive ließe sich auch formulieren, dass Männer ihren Penis beziehungsweise die Kontrolle über diesen an Frauen verlieren, die ihn sich nicht nur zu unterwerfen scheinen, sondern sich ihn auch einverleiben.
Im symbolischen Sinne geht es also auch um den Verlust des Phallus an die Frau. All das gemahnt nicht zuletzt an Kastrationskomplexe - symbolisch wie real. Insofern das mainstrain-pornographische Skript den Verlust des Phallus an die Frau beschreibt, dient die extrakorporale Ejakulation nicht nur der Wiedererlangung der männlichen Selbstkontrolle ("Mann nimmt die Sache wieder in die Hand"), sondern auch dem Beweis, dass man der Kastration entgangen ist, mit Frauen also gefahrlos sexuell verkehren kann.
Die extrakorporale Ejakulation symbolisiert zugleich die Abwehr einer drohenden Verschmelzung mit dem Weiblichen, insofern sie Verschmelzung nicht zulässt, sondern Differenz und Distanz betont. Dass Frauen in pornographischen Inszenierungen so dargestellt werden, als läge ihnen besonders an extrakorporalen Ejakulationen, widerspricht dieser Deutung nicht.
Mit der extrakorporalen Ejakulation ist die Geschlechterordnung gewissermaßen wiederhergestellt. Dass diese pornographische Geschlechterordnung reichlich atavistisch ist, steht freilich auf einem anderen Blatt. Psychoanalytisch ließe sich aber fragen, ob die heterosexuelle Mainstream-Pornographie funktionieren würde, wenn auf die extrakorporale Ejakulation verzichtet würde. Ich vermute: durchaus - wenngleich jedoch nicht für einen Großteil Ihres Publikums. Zumindest scheinen Letzteres die Produzenten zu glauben. Aber auch in diesem Zusammenhang wäre es interessant zu untersuchen, wie und auf welche Weise Menschen Pornographie tatsächlich sehen und nutzen.
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