22. November 2010
Die Regenwolken hängen an den Höhenzügen des Brahmwalds, des Reinhardswalds und des Sollings. Unter die schweren Tropfen mischt sich der erste Schnee des nahenden Winters. Das Novembergrau taucht Bodenfelde in eine nasskalte Tristesse, in der die Klinkerbauten aus der Gründerzeit, das qualmende Holzwerk am Ortseingang, die stattliche Villa mit dem bröckelnden Putz aus besseren Zeiten am Bahnhof und die leerstehenden Ladengeschäfte noch trostloser wirken als an schönen Tagen. Bodenfelde im niedersächsischen Landkreis Northeim liegt zwar mitten in Deutschland, wo Hessen, Westfalen und Niedersachsen an der Oberweser aneinanderstoßen - aber irgendwie doch am Ende der Welt.
An der Heinrich-Roth-Gesamtschule sind an diesem Mittag ungewöhnlich viele Autos geparkt. Mehr Eltern als sonst holen ihre Kinder ab. Die Angst geht um in Bodenfelde. Zwei Kinder wurden am Sonntag in der Nähe ermordet aufgefunden. Das Verbrechen hat den Ort aus der Randlage plötzlich in den Mittelpunkt gerückt. Und auch die Schule, die damit wirbt, bis zur Klasse zehn etwa 500 Schüler integrativ zu unterrichten, zieht das Interesse der Öffentlichkeit auf sich - denn beide, die 14 Jahre alte Nina und der 13 Jahre alte Tobias, besuchten den Zweckbau aus den siebziger Jahren.
Vor der Schule stehen nicht nur Autos mit Northeimer oder Göttinger Kennzeichen, sondern auch solche mit Nummern aus dem Landkreis Kassel. Aus dem nahen Westfalen kommen offenbar weniger Kinder nach Niedersachsen - der westfälische Kreis Höxter ist überwiegend katholisch, die Niedersachsen und Hessen sind evangelisch. Ein Vater hat von seiner Frau den Auftrag, die Tochter zu holen. Der Mann ist noch unrasiert, denn er hatte Nachtdienst und stand der Kinder wegen früh auf. Schüler rennen in Gruppen zu den Schulbussen.
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