Samstagabend, Freunde kommen zum Essen. Schnell noch was einkaufen: Knabbereien, edler Rotwein und dazu ein paar Gramm gutes Haschisch, vom Biobauern aus der Region. Legal gekauft im Cannabis-Shop um die Ecke. Eine Kreuzberger Zukunftsvision.
Die Realität: Seit Jahren hat Berlin-Kreuzberg ein Problem mit dem Kiffen. Da sind die weit über Berliner Grenzen hinaus bekannten Dealer im Görlitzer Park. Da sind besorgte Anwohner, die um ihre Kinder fürchten. Aktivisten pflanzen Hanf mitten am Kottbusser Tor, Demonstranten protestieren kiffend vor den Augen der Polizei gegen Innensenator Frank Henkels Null-Toleranz-Politik. Und nichts ändert sich. Die einen verbieten es halbherzig, die anderen kiffen demonstrativ, gedealt wird immer noch.
"Die bisherige Prohibitionspolitik ist gescheitert", sagt die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Sie will darum legale Cannabis-Läden in ihrem Bezirk. Immer wieder war in der Presse von Kreuzberger Coffeeshops zu lesen. Zwei Jahre hat das Bezirksamt an einem Modellversuch gearbeitet, jetzt ist der Antrag tatsächlich fertig. Friedrichshain-Kreuzberg will noch im Juni die Erlaubnis für eine "geregelte Abgabe von Cannabis" beantragen.
Während die Grünen-Bundestagsfraktion für ihr im März vorgestelltes Cannabiskontrollgesetz (CannKG) auf Bundesebene kämpft, versucht Herrmann Cannabis mit einer Ausnahmegenehmigung auf kommunaler Ebene zu legalisieren. Laut Betäubungsmittelgesetz darf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu "wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken" Ausnahmen für Handel und Anbau von Betäubungsmitteln erteilen. Es könnte also klappen. Ganz theoretisch. Drei Monate hat das Institut Zeit, über den Antrag zu entscheiden.
So stellt Monika Herrmann sich das Projekt vor: Jeder im Bezirk gemeldete Volljährige kann seine Daten beim Notar registrieren lassen (dann haben Ermittlungsbehörden keinen Zugriff). Er erhält eine anonymisierte Chipkarte mit Registrierungsnummer, Geburtsdatum und Foto (die Karten sind nicht übertragbar). Mit dieser Karte darf er monatlich bis zu 30 Gramm Cannabis zum Eigenverbrauch kaufen. Der Weiterverkauf ist verboten.
Kontrollierte Qualität für einen etwas höheren Preis
Mindestens zwei Verkaufsstellen sind geplant, eine in Kreuzberg, eine in Friedrichshain. "Wir könnten uns aber auch bis zu fünf Verkaufsstellen vorstellen", sagt Sascha Langenbach, der Sprecher des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. Gras und Haschisch werden dort etwas teurer verkauft als auf dem Schwarzmarkt. "Dafür wird die Qualität überwacht und gesichert", sagt Langenbach. Die Produktion könnten Landwirte aus der Region übernehmen. Außerdem soll der erhöhte Preis den Anreiz mindern, das Gras weiterzuverkaufen. Der Deal für den Konsument: Legale, kontrollierte Ware gegen ein paar Euro mehr. "Genau wie jetzt bei Alkohol und Zigaretten", sagt Langenbach.
Wie das BfArM dem Antrag gegenüber steht, ist noch nicht abzusehen. "Wir befassen uns damit, wenn er eingegangen ist", sagt der Institutssprecher. Letztendlich untersteht das Institut dem Bundesgesundheitsministerium und damit Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). 1997 hatte Schleswig-Holstein einen Antrag für ein wissenschaftliches Modellprojekt eingereicht, das ausgewählten Apothekern erlauben sollte, Cannabis zu verkaufen. Dieser Antrag wurde abgelehnt.Aber seitdem hat sich viel getan. Drogenpolitiker aller Länder schielen auf die USA, Studien belegen inzwischen, dass die Legalisierung in Colorado nicht zu mehr Cannabiskonsum geführt hat. Und der eine oder andere fragt sich sicher, warum sein Staat sich freiwillig Millionen an Steuergeldern entgehen lässt. Selbst aus den Reihen der CDU vernimmt man neuerdings Stimmen, die von "gescheiterter Drogenpolitik" sprechen. Kürzlich hatte der wirtschaftspolitische Sprecher der Union, Joachim Pfeiffer, seine Parteikollegen mit einem Vorstoß zur Legalisierung von Cannabis überrascht – und sich hinterher gewundert, wie viel Zuspruch er außerhalb seiner Partei erntete.
Bremen will auch legal Cannabis verkaufen
Aber es gibt auch noch entschiedene Gegner: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), vertritt konsequent die Meinung, eine Legalisierung verführe zum Konsum und verharmlose die Gefahren der Droge. Sie argumentiert vor allem mit dem Jugendschutz – doch genau den bringen auch die Befürworter als Argument. Nur durch kontrollierte Abgabe könne der Konsum geregelt und Präventionsarbeit stattfinden, finden die Grünen und verweisen auf ihr Cannabis-Gesetz.
Harald Terpe, der drogenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, sagt, der Kreuzberger Vorstoß sei "begrüßenswert". Er wünscht sich, dass andere Kommunen sich dem Bezirk anschließen. "Nur wenn wir mehrere Gemeinden in verschiedenen Bundesländern haben, kann man wirklich von einem Modellversuch sprechen." In der jetzigen Form könne das Projekt sich im Kleinen verlaufen.
Auch das Dealerproblem im Görlitzer Park werde der Versuch sicher nicht lösen können, sagt Terpe. "Dort kaufen ja nicht nur Friedrichshainer und Kreuzberger ein." Dennoch biete das Projekt zumindest den Bewohnern des Bezirks eine legale Wahlmöglichkeit. Ein erster Schritt.
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hofft auf Nachahmer und Mitstreiter in anderen Bundesländern. Der Bezirkssprecher Langenbach versichert, der Antrag sei so aufgebaut, dass ihn andere Kommunen mühelos adaptieren könnten. Und vermutlich bekommt sein Amt bald einen Anruf aus Bremen. Sozialdemokraten und Grüne haben sich dort am Freitagabend bei den Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt, für Bremen einen ähnlichen Modellversuch zu beantragen. Durch die Entkriminalisierung solle auch die Polizei entlastet werden, sagte die Bremer Landesvorsitzende der Grünen Henrike Müller. Und: Man wolle sich mit Berlin austauschen. Hamburg plant ebenfalls einen Modellversuch, Köln debattiert darüber.
Keine gemütlichen Coffeeshops
Wenn es nach der Kreuzberger Bürgermeistern geht, dürfen in ihrem Bezirk bald alle rund 210.000 volljährigen Bezirkseinwohner legal Marihuana und Haschisch kaufen. Herrmann sagt aber auch: "Wir sind kompromissbereit." Sie will den Versuch unbedingt starten. In welcher Form auch immer. Sprich: Sollte die Abgabe nur unter Auflagen genehmigt werden, etwa für eine begrenzte Anzahl an Teilnehmern, unter einer bestimmten wissenschaftlichen Begleitung oder soziologischer Evaluation, ist der Bezirk dazu bereit.
Mit einem Mythos will Pressesprecher Langenbach allerdings noch aufräumen: Es werde keine Coffeeshops am Görlitzer Park geben. Die Abgabestellen sollen keine Kiff-Cafés werden, sondern eher an schlichte Apotheken erinnern. Und sie sollen nicht im direkten Umkreis des Parks angesiedelt werden. Schließlich geht es im Modellprojekt um Entkriminalisierung. Nicht darum, die Bürger zum gemütlichen Kiffen einzuladen.
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