Worum in Deutschland lange und heftig gerungen wurde, bis die schwarz-gelbe Regierung den Gesetzesvorstoß für das Sperren von Seiten mit kinderpornografischen Inhalten im Internet im Jahr 2011 endgültig zurückzog, ist in Russland zumindest in der Politik kein großes Thema: die Freiheit im Web. Ab sofort gilt dort ein Mediengesetz, das mit Websperren Kinderpornografie sowie die Verherrlichung von Drogen und Anleitungen zum Selbstmord im Netz bekämpfen soll. Während Kritiker darin die Gefahr für weitergehende Zensur sehen, waren sich Kreml und Parlament in dem Vorstoß sehr schnell einig. Und selbst führende Oppositionelle haben dafür gestimmt.
Das neue Gesetz kommt zur Unzeit. Seit Wladimir Putin im Mai wieder Präsident in Russland geworden ist, weht innenpolitisch ein kalter Wind: Unter seiner Ägide wurde das Versammlungsgesetz verschärft, indem Ordnungswidrigkeiten stark erhöhte Strafen mit sich bringen. Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland Geld erhalten, müssen sich künftig als "ausländische Agenten" abstempeln lassen, und für Verleumdung können nach einem vor wenigen Monaten verabschiedetem Gesetz künftig bis zu 500.000 Rubel (rund 12.500 Euro) fällig werden.
Der Kreml versucht, der Protestbewegung beizukommen, darin sind sich Beobachter einig. Denn seit der umstrittenen Dumawahl im Dezember 2011 reißt die Demonstrationswelle nicht ab. Erst im September waren nach Schätzungen in russischen Medien 14.000 bis 30.000 Menschen bei einer Demonstration in Moskaus Straßen unterwegs, um "Für ein Russland ohne Putin" und "Für ehrliche Wahlen" zu demonstrieren, so die Losungen.
Kritiker befürchten nicht nur vor diesem Hintergrund, dass das neue Internetgesetz eine Gefahr für Meinungs- und Pressefreiheit darstellen könnte. Denn es weist zum Beispiel nach Ansicht der russischen Medienrechtsexpertin Galina Arapowa ganz grundsätzlich Schwachstellen auf. Sie hält es für bedenklich, dass Experten, die zur Beurteilung der zu sperrenden Seiten eingesetzt sind, von der Regierung berufen werden. Das werfe Zweifel an ihrer "Unabhängigkeit" und "Qualifizierung" auf. Und gesperrt werden Webseiten sofort, die Eingang in eine von diesen Experten erarbeitete "schwarze Liste" finden – ohne richterliche Anordnung. Zwar gehe zuvor eine Aufforderung an den Provider, wenn der aber nicht reagiere, wird der Bildschirm an dieser Stelle schwarz.
Problematisch findet sie, dass dabei im Gesetz nicht definiert sei, ob dann tatsächlich nur die Seite blockiert werde oder der gesamte Dienst, der dahinter steht. Das könnte dann auch völlig legitime Inhalte einschließen, erklärt sie gegenüber Telepolis. Auch die internationale Organisation "Reporter ohne Grenzen" schlägt Alarm und verweist in einer Pressemitteilung als Beispiel für dieses Problem auf die komplette Sperrung der Videoplattform YouTube im September in einigen Regionen Russlands: Weil der Dienst den Trailer zum Film "Die Unschuld der Muslime" nicht aus dem Netz genommen hatte, war ohne jeglichen richterlichen Beschluss YouTube nicht mehr zu erreichen, teilweise über Stunden.
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