Die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr ist einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Für Rahmengebühren entspricht
es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der kon-kreten Gebühr ein Spielraum von 20 v.H. (sog. Toleranzgrenze) zusteht (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2006, aaO, Rn. 5; Gerold/Schmidt/Mayer, aaO, § 14 Rn. 12; AnwKomm-RVG/Onderka, 5. Aufl., § 14 Rn. 80 ff mwN; Mayer/Kroiß/ Winkler, RVG, 4. Aufl., § 14 Rn. 54 mwN; Römermann in Hartung/Römer-mann/Schons, RVG, § 14 Rn. 89 f). Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Gren-ze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen. Mit der Erhöhung der in jedem Fall angemessenen Regelgebühr um 0,2 haben die Rechtsanwälte des Klägers die Toleranzgrenze eingehalten.
Zwar ist in allen eben zitierten Entscheidungen zuvor auf besondere Schwierigkeiten der Mandats (Eilbedürftigkeit usw.) hingewiesen worden, doch wurde diese Rechtsprechung durch die Kommentatoren so interpretiert, als ob die 1,5 nun die neue 1,3 sei. Dagegen gab es starke Gegenstimmen, uns liegen mehrere Gebührengutachten z. B. der Anwaltksammer München vor, die mit klaren Worten dem BGH die Gefolgschaft verweigerten.
Die Entscheidung des BGH ist in diesem Punkt gebührenrechtlich schlicht falsch. Der Gesetzgeber hat in der Anmerkung zu Nr. 2300 W eine klare Trennungslinie gezogen. Hiernach kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ob diese Tatbestandsmerkmale vorliegen, kann daher nur im Rahmen der Bewertung des Umfangs der Tätigkeit und der Schwierigkeit der Angelegenheit beurteilt werden, nicht aber über die Bestimmung der Höhe der Rahmengebühr durch den Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 RVG. Dies ist die einhellige Auffassung der 62. Tagung der Gebührenreferententagung der Rechtsanwaltskammer – unter der Mitwirkung der Bundesrechtsanwaltskammer – vom 02.04.2011 in Stuttgart. Dem BGH ist in der zitierten Entscheidung schlicht ein Denkfehler unterlaufen. Die Entscheidung ist falsch und verstößt gegen das Gesetz. Die Rechtsauffassung des BGH wird von der Rechtsanwaltskammer München nicht geteilt. Der Vollständigkeit halber wird jedoch vorsorglich und ausdrücklich auch auf diese Entscheidung hingewiesen. Die Frage, ob eine anwaltliche Tätigkeit umfangreich ist oder ob die beauftragte und behandelte rechtliche Angelegenheit schwierig ist, ist einer gerichtlichen Überprüfung gerade nicht entzogen. Sie kann auch nicht durch “Toleranzgrenzen” überwunden werden.
Nun hat der BGH mit Urteil des VIII. Zivilsenats vom 11.7.2012 – VIII ZR 323/11 sich klarstellend geäußert:
Daher ist eine Erhöhung der Regelgebühr von 1,3 auf eine 1,5-fache Gebühr hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 entgegen der Auffassung der Revision nicht der gerichtlichen Überprüfung entzogen (ebenso OLG Celle, aaO mwN). Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne Weiteres eine 1,5-fache Gebühr verlangen. Das verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes in Nr. 2300, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war.
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