Die Straßburger Richter verurteilten den Staat nun dazu, der Frau 36.500 Euro zu bezahlen, weil er seine Schutzpflicht grob vernachlässigt habe. Das Urteil wird in der türkischen Presse als historisch bewertet, weil es in seiner Begründung über den Einzelfall hinaus eine "Kultur der Gewalt" benennt, die oft toleriert werde. Das Gericht berief sich auf Berichte von Frauengruppen wie Mor Cati, die belegen, wie Polizisten vielerorts Anzeigen misshandelter Frauen nicht ernst nehmen, und wie manche Richter noch immer prügelnden und mordenden Männer Straferlass gewähren, wenn sie die "Familienehre" verteidigt sehen.
Die Zeitung Sabah zählte auf, wie die Richter in der Stadt Diyarbakir über Jahre hinweg in 46 von 59 Fällen häuslicher Gewalt die Strafe reduzierten - auch nach Verabschiedung des Strafgesetzbuches von 2004, das seiner modernen Frauengesetzgebung wegen von der EU viel gelobt wurde. Die Gesetze sind neu, aber die Richter sind noch die alten.
Von einer "ernsten Verwarnung" für die türkischen Richter sprach deshalb Fatma Nur Serter von der oppositionellen Partei CHP, und Ahmet Iyimaya, Rechtsexperte der regierenden AKP, forderte seine Regierung auf, nun "das Nötige zu tun". Mehreren Untersuchungen zufolge werden 40 Prozent der türkischen Frauen Opfer häuslicher Gewalt, nur wenige gehen zur Polizei. Aktivistinnen wie Zozan Özgökce vom Frauenverein Van begrüßten das Urteil: Es sei "eine Chance für die Türkei, die Augen zu öffnen". Die einzige laute Kritik kam bislang von der AKP-Abgeordneten Güldal Aksit, sie findet das Urteil "unfair". Aksit ist die Vorsitzende des Gleichberechtigungsausschusses im Parlament. "Leider", wie die Zeitung Radikal prompt kommentierte.
Klägerin Opuz kann sich derweil noch nicht richtig über das Straßburger Urteil freuen. Ihr Ehemann wurde in der Türkei 2008 zu lebenslanger Haft verurteilt - und bis zum Berufungsverfahren sofort wieder auf freien Fuß gesetzt. Nahide Opuz ist untergetaucht. Über ihre Anwältin ließ sie ausrichten, ihr Ehemann bedrohe sie weiterhin. Sie hoffe nun auf Polizeischutz.
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