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View Full Version : Phase 3 - Die Piratenpartei wird bekämpft



Snitlev
09.04.12, 12:15
Ein Gespenst geht um in Europa - doch es ist nicht das Gespenst von 1848, das eine Revolution wollte, sondern eine Art Pac-Man-Geist, der dem Urheberrecht und der Demokratie in einer Evolution ein Update verpassen möchte. Statt Manifest und Diktatur bietet er Liquid Democracy und Basisdemokratie. Doch inzwischen hat der unersättliche Pac-Man der Verwertungsindustrie die Kraftpille gefressen und jagt umgekehrt die nun von ihm einfarbig gemachten Schreckgespenster.

Die bevorstehende Wahl in NRW, der Signalwirkung für die Bundestagswahl beigemessen wird, stellt für die Piratenpartei in mehrfacher Hinsicht die bislang größte Herausforderung dar. 2009 konnte man sie bei der Europawahl und Bundestagswahl als Kleinpartei abtun und in der Wahlkampfberichterstattung ignorieren. Bei der NRW-Wahl von 2010 ließ sich das Anliegen der daher kaum wahrgenommenen "Internet-Partei" mit dem Label "Kinderpornograhie" diskreditieren - eine Strategie die nach der parteiübergreifenden Abkehr von den aberwitzigen Internetsperren heute nicht mehr ziehen würde.

Dampfplauderer Ulrich Wickert, der von Urheberrecht in etwa so viel Ahnung hat wie Ansgar Heveling vom Internet, hielt 2009 die Vision, die Piratenpartei bekäme 5,1 %, für "kabarettistisch" - nahm den politischen Mitbewerber jedoch wenigstens wahr. Jede Stimme für die Piraten sei im Gulli, tönte ein Politiker, dessen Partei der Berliner Gulli prompt aus dem Abgeordnetenhaus verwies. Nunmehr hat die Piratenpartei nicht nur den Einzug in zwei Landesparlamente geschafft, sondern bringt es als erste nicht im Bundestag vertretene Partei im "Deutschlandtrend" auf zweistellige Zustimmungswerte. Der Einzug ins Düsseldorfer Parlament ist nunmehr Pflicht.

Inzwischen nehmen die Medien - genauer: die Printmedien - die Partei nicht nur ernst, sondern auch auseinander und geben sie - durch erstaunlich schwachen Journalismus - nicht selten der Lächerlichkeit preis. Etliche Piraten sind bereits in die Interview-Falle getappt. Beispiele gefällig?

Dem NRW-Vorsitzenden legte DER WESTEN die Behauptung in den Mund, die Partei fordere eine Diätenerhöhung. Dem NRW-Spitzenkandidat schob DER SPIEGEL gerade unter, er habe entgegen dem Bundesvorsitzenden bezahlte Vorstände gefordert. BILD bauscht eine unterschiedliche Ansicht zwischen einem Berliner Piraten und dem Bundesvorsitzenden zur "Meuterei" auf und deutet jede unterschiedliche Meinung als Chaos. DER SPIEGEL lässt Urpirat Jens Seipenbusch als intriganten Karrieristen erscheinen, obwohl der frühestens 2014 wieder für etwas kandidieren will. CICERO sieht in Christopher Lauer einen machtaffinen Joschka Fischer (kein Link auf das Blatt aus hygienischen Gründen). Und hätte die politische Geschäftsführerin Marina Weisband nicht angekündigt, nicht erneut zu kandidieren, hätte man für sie zweifellos ein ähnliches Etikett gefunden.

Die Piratenpolitiker sind medienunerfahrene Amateure. Sie geben lange Interviews, ohne zu ahnen, dass sich Journalisten vorzugsweise nur die negativen Aspekte herauspicken, denn vor allem die haben Nachrichtenwert. Sie sprechen mit Journalisten "off the record", ohne sich Vertraulichkeit zusichern zu lassen. Sie geben Interviews, ohne sich diese zur Autorisierung vorlegen zu lassen (Missverständnisse sind in Interviews der Normalfall). Journalisten picken aus der digitalen Kommunikation der nunmehr über 24.000 Parteimitglieder Einzelmeinungen heraus, die skandalisiert werden. Während kein Mensch auf die Idee käme, Pöbelei von 8jährigen auf irgendeinem Bolzplatz dem DFB zuzuschreiben, verfügen die Piraten anscheinend über 24.000 Repräsentanten. Letztes Wochenende entdeckte man sogar ein Sexismus-Problem - das es so oder ähnlich leider in allen Parteien und Gruppierungen gibt, insbesondere da, wo anonyme Kommunikation erlaubt ist. Wie viele weibliche Chefredakteure haben denn eigentlich die namhaften Zeitungen geboten? Und sind die Witze, die männliche Journalisten der Qualitätsmedien nach dem zweiten Bier reißen, durchgängig political correct?

Ironischerweise könnten solch negative Schlagzeilen der Piratenpartei bei Wählern und bislang überzeugten Nichtwählern, die von den glatten PR-Inszenierungen der konventionellen Wahlstimmen-Anbiederer abgestoßen wurden, sogar Sympathien einbringen. So peinlich diese in der Öffentlichkeit ausgetragenen Parteiinterna auch sein mögen, sie kommunizieren Transparenz und Ehrlichkeit - ein erklärtes Piratenanliegen.

In diesen Wochen nun ist definitiv "Phase 3" des berühmten Gandhi-Zitats angelaufen. Waffentragende Journalisten nehmen die Maske ab, Verkäufer von bedrucktem Papier erklären offen die Feindschaft, das Hausblatt industrieller Krämerseelen schickt eine Hundertschaft vorgebliche Kronzeugen geprellter Urheber ins Feld, nachdem dort 51 kriminell schlecht informierte Tatort-Autoren beim digitalen Schusswechsel ausgeschaltet wurden, ganz zu schweigen vom unglücklichen Sven Regener, der gegen den Wind pinkelte.

Die Möchtegern-Enthüllungsreporter des Cicero, die sogar mit googeln überfordert sind, weigern sich hartnäckig, eine verlangte und von Gesetzes wegen geschuldete Gegendarstellung für ihr Totalversagen anzubieten - pikant, denn ursprünglich hatte Cicero einer Piratin am Zeug geflickt, ausgerechnet ihre digitalen Spuren zu verwischen, versteckt selbst aber seine halbherzige wie unvollständige redaktionelle Richtigstellung auf Seite 3, die eine Woche nach dem versuchten Rufmord ohnehin keiner mehr anklicken wird.

Doch in Wirklichkeit geht es der Printesse gar nicht um die Auseinandersetzung in der Sache. Auch diese Leute sind nicht so naiv, wie sie sich geben, sondern wissen selbstverständlich ganz genau, dass es den Begriff "geistiges Eigentum" im deutschen Recht gar nicht gibt. Sie wissen auch, dass die Piraten das Urheberrecht keineswegs abschaffen wollen.

Die 51 Tatort-Schreiberlinge werden über die ARD und damit die GEZ besoldet, Downloads von Tatort-Drehbüchern sind bislang nicht beobachtet worden. Auch die in Los Angeles lebende Franka Potente, die ihr Regie-Debut 2006 gar nicht nicht an der Kinokasse, sondern aus öffentlichen Mitteln realisierte, kann nicht wirklich so gnadenlos dumm sein, dass sie kontrollierte Plattformen wie "Youtube" für eine Bedrohung der Urheberrechte hält. Auf der Klaviatur der Angst spielt auch der bayrische Innenminister, der jüngst die Piraten (denen ein ehemaliger CDU-Mann vorsteht) als "extrem linksalternativ ausruft, was dem braven Bürger einen gewaltigen Schrecken einjagen muss, an dem McCarthy seine Freude hätte.

Tatsächlich zielen solche Kampagnen also nicht etwa auf ein intellektuelles Publikum ab, sondern sollen bei uninformierten Massen eine Stimmung der Angst erzeugen. Die Piraten sollen als Feinde der beliebten Künstler wahrgenommen werden, die es zu behüten gilt. Dass das Urheberrecht der Gegenwart in erster Linie die Interessen unkreativer Verwerter schützt, welche die Urheber regelmäßig über den Tisch ziehen, fällt dreist unter den Tisch. Soweit der Wahlkampf also in den Printmedien stattfindet, muss zur Kenntnis genommen werden, dass dieser Kampfplatz partiell sabotiert ist. Politik ist nun einmal ein schmutziges Geschäft.

Doch völlig ausgeliefert sind auch die Piraten solchen Gegnern nicht. Als den Berliner Piraten im Wahlkampf um den Senat bewusst wurde, dass gewisse Medien trotz intensiver Kommunikation vornehmlich Blödsinn schrieben, schnitten die Piraten zurück, indem sie diesen Blättern keine Interviews mehr gaben. Ohne O-Töne oder Exklusiv- und Hintergrund-Informationen verlieren politische Journalisten einen gewichtigen Teil ihrer Funktion und Autorität. Agenturmaterial durchreichen, Pressetexte altklug kommentieren und googeln kann jeder (außer vielleicht die Redaktion vom Cicero ...).

"Wir haben das Geld einer 0,2-Prozent-Partei, Programm und Struktur einer 2-Prozent-Partei - aber an uns werden die Erwartungen einer 12-Prozent-Partei gestellt", resümierte jüngst die Bundesgeschäftsführerin der Newcomer.

Gegen die 4.000 NRW-Piraten steht eine Armada von wahlkampferprobten 8.600 NRW-Linken, 12.500 NRW-Grünen, 16.000 NRW-FDPlern, 134.500 SPDlern und 154.000 CDUlern - Flottenverhältnis 1:100. Doch auch die historische Armada war letztlich ein Schlag ins Wasser. Sollte es den NRW-Piraten gelingen, trotz unterirdischer PR-Kampagnen in den Düsseldorfer Landtag einzuziehen, so wäre dies auch ein Indiz dafür, dass sich die angestammte publizistische Macht der Zeitungsverlage, die eine enge Symbiose mit den etablierten Parteien und Wirtschaftsleuten pflegen, dank Internet entscheidend relativiert hätte. Allein das mögliche Signal, dass sich die Informationsgesellschaft nicht mehr länger mit medialer Propaganda abspeisen ließe, wäre der Mühe wert.

Quelle: Phase 3 | Telepolis (http://www.heise.de/tp/artikel/36/36728/1.html)

Das war doch absehbar, Die Piratenpartei nimmt den alten Parteien Stimmen weg und sie ziehen massenweise die junge Generation an Land.
Die anderen Parteien sehen sich dadurch gefährdet und bekämpfen sie lieber anstatt sich ernsthaft mit ihnen auseinander zusetzen und gegebenfalls gemeinsam einen Konsenz auszuhandeln, denn zukünftig muss man sich mit ihnen arrangieren auf die eine oder andere Art.

siehe auch: Wahlkampf live: Willkommen im Piraten-Hauptquartier - Deutschland - Politik - Handelsblatt (http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/nrw-wahl-2012/wahlkampf-live-willkommen-im-piraten-hauptquartier/6479792.html)

mfg

mabuse
10.04.12, 10:27
Die anderen Parteien sehen sich dadurch gefährdet und bekämpfen sie lieber anstatt sich ernsthaft mit ihnen auseinander zusetzen und gegebenfalls gemeinsam einen Konsenz auszuhandeln,
Und übersehen dabei vor allem, das die Zielgruppe sich ja ihre Meinung gerade nicht durch Print und Funk bildet, sondern völlig andere Quellen nutzt.

Naja, was will man von den digitalen Analphabeten auch anderes erwarten?

BuggerOff
14.04.12, 07:45
Das Zitat im letzten Spoiler gefällt :) Ich bin schon sehr gespannt auf die nächsten beiden Landtagswahlen!

Snitlev
27.10.12, 12:04
Ober-Piratin Schramm schmeißt hin

Ober-Piratin Julia Schramm schmeißt hin: Weil sie ihr Buch nicht frei verfügbar ins Netz stellte, steht Piraten-Vorstandsmitglied Julia Schramm in der Partei heftig in der Kritik.



Piraten-Vorstandsmitglied Julia Schramm will offenbar nicht mehr Ober-Piratin sein. Wie der stern berichtet will Piratin Schramm nach scharfer innerparteilicher Kritik das Handtuch werfen. Schramm wolle ihr Amt als Beisitzerin im Bundesvorstand der Piratenpartei niederlegen, berichtet das Magazin am Freitag unter Berufung auf Parteikreise. Julia Schramm wolle ihre Entscheidung noch am Freitag bekannt geben.
Piratenpartei: Streit um Führungspersonal
In der Piratenpartei wird seit Wochen der Streit um das Führungspersonal offen ausgetragen. Neben Schramm steht besonders der politische Geschäftsführer Johannes Ponader in der Kritik. In dem am Freitag veröffentlichten ZDF-Politbarometer kommt die Partei nur noch auf vier Prozent.

Quelle: Piratenpartei: Ober-Piratin Schramm schmeißt hin - Politik - Aktuelle Politik-Nachrichten - Augsburger Allgemeine (http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Ober-Piratin-Schramm-schmeisst-hin-id22500856.html)

Schade sie hätten den Einzug in den Bundestag nächstes Jahr verdient gehabt und würden dort eine ordentliche Frische reinbringen, aber von anfangs 11% sind sie momentan bei knapp 4%, schade dass sie sich selbst zerfleischen was natürlich ganz im Intresse der großen etablierten Parteien ist...

mfg

v6ph1
27.10.12, 20:41
Schade sie hätten den Einzug in den Bundestag nächstes Jahr verdient gehabt und würden dort eine ordentliche Frische reinbringen, aber von anfangs 11% sind sie momentan bei knapp 4%, schade dass sie sich selbst zerfleischen was natürlich ganz im Intresse der großen etablierten Parteien ist...
4% werden aktuell nur von der FG Wahlen prognostiziert.
Ebenso darf man Abweichungen von bis zu 3%-Punkten nicht überbewerten. - Alle Wahlumfragen besitzen eine gewisse Streuung.

Frau Schramm als Vertreterin der Anti-Datenschutz-Spackeria werden viele der Anhänger keine Träne nachweinen.
Ein hübsches Gesicht - aber in diesem Punkt den meisten Anhängern und Mitgliedern diametral gegenüberliegend.

Andere Vorstandsmitglieder leiden ebenso unter Problemen.
Da alles keine Berufspolitiker sind, sind Fehltritte oder falsche Formulierungen nicht so ungewöhnlich.

Wenn wir die Wahlprognosen mal alle zusammenfassen, ergibt sich folgendes Bild:
CDU/CSU: drin, etwas mehr als 1/3 der Stimmen
SPD: drin, 1/4-1/3 der Stimmen
Grüne: drin, 1/10-1/7 der Stimmen
Linke: drin, 5-10%
Piraten: um die 5%-Hürde (Tendenz eher drüber)
FDP: um die 5%-Hürde (Tendenz eher drunter)

Klassische 2er-Koalitionen kommen nicht über 50%.
Die Große Koalition hätte ca. 2/3 der Stimmen.
3er-Koalitionen unter Beteiligung von Union oder SPD besäßen eine knappe Mehrheit.
(+2 aus dem Rest, nicht Piraten+FDP gleichzeitig)

Daran wird sich vermutlich bis zur nächsten Wahl nicht mehr viel ändern.

mfg
v6ph1

Se7Ven
28.10.12, 16:36
Ein hübsches Gesicht - aber in diesem Punkt den meisten Anhängern und Mitgliedern diametral gegenüberliegend.

Andere Vorstandsmitglieder leiden ebenso unter Problemen.
Da alles keine Berufspolitiker sind, sind Fehltritte oder falsche Formulierungen nicht so ungewöhnlich.

Daran wird sich vermutlich bis zur nächsten Wahl nicht mehr viel ändern.

mfg
v6ph1

dito

Neue politische Parteien/Kräfte mit innovativen Potenzial und kreativen Ansätzen werden von den etablierten Parteien auf der politischen Bühne gerne gemobbt/ausgegrenzt selten gefeiert ....es könnte ja eine "böse "gesellschaftliche konstruktive Veränderung stattfinden.

mabuse
29.10.12, 11:27
....es könnte ja eine "böse "gesellschaftliche konstruktive Veränderung stattfinden.
Jep.
Sowas wie die Grünen passiert den "großen" "Volksparteien" nicht nochmal.

Se7Ven
29.10.12, 22:00
Jep.
Sowas wie die Grünen passiert den "großen" "Volksparteien" nicht nochmal.

Korrekt...nicht das diese Parteien etwa frischen Wind ins Parlament hineinbringen könnten und den etablierten Parteien ihre Programme sowie Mitglieder auch noch verbessern oder abwerben.....nein diese Piraten wollen sogar zielgerichtet das politische Territorium infiltrieren am Ende übernehmen....