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View Full Version : Nur Geld schießt Tore



Snitlev
14.02.12, 10:43
Der Transferwert eines Fußballteams entscheidet über die Anzahl seiner Meistertitel - Teil 1

Otto Rehhagel meinte zu wissen, dass Geld keine Tore schießt. Seine schlagfertige Kritik von 1987 an dem Transfer von Rudi Völler hat sich seitdem in einen geflügelten Dichterspruch verwandelt. Aber bei aller Hochachtung für den "Fußballgott" Rehhagel, Geld ist heute der beste Mittelstürmer. Wenn im Juni die Europameisterschaft 2012 startet, werden einige der kostspieligsten Mannschaften der Welt um den Europameister-Titel ringen. Hinter jedes Tor wird man Ausrufe, aber auch Euro-Zeichen setzen können.


Fußball International

Die Globalisierung der Weltwirtschaft hat en passant zur Globalisierung des Sports beigetragen. Weltumspannende Kommunikationsnetze und Satellitenübertragungen bringen heute die Bundesliga nach Asien, die englische Premier League in die schmuddeligen Wettstuben von Singapur und Hong Kong und die spanische Liga nach Lateinamerika. Fußball ist "big business" geworden, vor allem hier in Europa. Wie bei jedem Geschäftszweig muss man Umsatz und Rendite ermitteln. Der geschätzte Marktwert eines jeden Spielers wird deshalb akribisch verfolgt und jedes gefoulte Knie wird im Computer festgehalten.[1]
Ganz oben herrscht die FIFA und verwaltet die Einnahmen aus den wichtigsten Turnieren, die immer häufiger stattfinden: WM und kontinentale Meisterschaften, Champions League, Konföderationen-Turnier, usw. Alle FIFA-Ligen ticken längst synchron: Die Nationalmannschaften spielen auf fünf Kontinenten am selben Tag, sodass die Spieler gleichzeitig in ihre Heimatländer aufbrechen können. Keine andere Sportart hat eine solch gewaltige globale Bühne.
Jedes Jahr werden die Umsätze der Fußballmannschaften zusammengerechnet und bekannt gegeben. Die Unternehmensberatung Deloitte z.B. verfolgt mit ihren "Money League" Berichten die Welt des Fußballs, ihre Einnahmen und Verluste. Tab. 1 listet die zehn reichsten Clubs der Welt in der Saison 2009/2010 auf und ihre jeweiligen Umsätze (bestehend aus Übertragungsrechten, Merchandising und Eintrittskarten).



http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12589


Zwei spanische, drei italienische, vier englische und eine deutsche Mannschaft bilden die Elite der Fußballklubs in Europa (Manchester City, ein reicher Newcomer, spielt im Bericht von 2011 noch keine große Rolle). Vor allem die englische Premier League besticht auf Grund der erzielten Umsätze. Dort haben ausländische Milliardäre längst die besten Mannschaften gekauft und investieren kräftig in die Einwerbung neuer Spieler. Historisch bedingt pflegen die meisten dieser Unternehmen noch die Fiktion Sportklubs zu sein, mit Tausenden von Mitgliedern, die sonst, außer ihrem Ausweis und gewissen Vergünstigungen beim Karten- oder Devotionalienerwerb, keinen nennenswerten Einfluss im Unternehmen haben.
Tore schießen kostet also viel Geld. Bayern München z.B. hat in der Saison 2010 72 Tore erzielt. Mit einem damaligen geschätzten gesamten Spielerwert von 260 Millionen Euro bedeutet dies, dass ein Tor in jener Saison etwa 3,6 Millionen Euro gekostet hat. Jedoch hat damals Werder Bremen fast genauso viele Tore mit der Hälfte des Marktwerts erzielt. In der Premier League setzte Chelsea 2010 ein neuen Torrekord: 103 Tore in der Saison, so viele wie nie zuvor. Teilt man Chelseas damaligen Marktwert durch diese 103 Tore, so hat jedes Tor 4,3 Millionen Euro gekostet. Fußball wäre aber nicht Fußball wenn nicht ab und zu das Unvorhergesehene geschehen würde, wenn Heimmannschaften sich nicht vor dem eigenen Publikum viel mehr anstrengen und schon fast "anti-ökonomisch" verhalten würden. Über die gesamte Saison mitteln sich aber die Überraschungen und, wie wir sehen werden, siegt am Ende meistens das Geld.[2]



Wenn man wissen will, inwieweit ein Industriezweig monopolfrei ist oder nicht, schaut man sich die Verteilung der Umsätze bzw. der Werte aller Unternehmen in dieser Branche an. Für Fußballvereine gibt es laufend aktualisierte Zeitreihen, die den Transferwert jedes Spielers festhalten. Dies ist die theoretische Summe, die ein anderer Verein für die Dienste des Spielers zahlen müsste. Lionel Messi vom FC Barcelona z.B. wird mit einem Transferwert von 100 Mio. Euro "notiert". Wie jede Schätzung, ist auch diese sicherlich fehlerbehaftet und berücksichtigt weder psychologische noch gegenwärtige ökonomische Faktoren in Europa. Dies sind aber die besten Daten, auf die man für einen Vergleich der Vereine und der Ligen zugreifen kann und die sich auf die letzten getätigten vergleichbaren Spielertransfers stützen.

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12592

Abb. 1 zeigt den kumulierten Wert der Spieler von Vereinen der Fußballligen von vier Ländern. Der erste Datenpunkt stellt der Transferwert des teuersten Vereins dar, der nächste die Summe der zwei teuersten Vereine, usw. Bis zu 20 Vereine werden dargestellt, in der Bundesliga spielen allerdings nur 18 Vereine. Die Premier League ist die teuerste Liga mit 20 Teams, deren Spieler einem gesamten Wert von über 3 Mrd. Euro haben. Danach folgen die spanische, die italienische und die deutsche Liga. Die Bundesliga ist besonders "sparsam". Der Transferwert der 18 Vereine ist niedriger als die Hälfte des Wertes der 20 englischen Clubs.

Besonders wichtig ist der Anstieg der Kurven am Anfang: in Spanien sind nur drei Vereine (Real Madrid, Barcelona und Valencia) für die Hälfte des Werts der gesamten Liga verantwortlich. In England sind es vier Vereine, die die Hälfte des Transferwertes der Premier League darstellen: Manchester City im Besitz der Abu Dhabi United Group, Chelsea im Besitz vom Roman Abramowitsch und schließlich Manchester United und Arsenal. In der Bundesliga geht es im Vergleich etwas "freiwirtschaftlicher" zu, obwohl Bayern München fast 20% des gesamten Werts der Liga darstellt.

Wenn man die Zahlen normalisiert, sodass der prozentuale Anteil des ersten, der zwei ersten, der drei ersten Vereine usw. am gesamten Wert der Liga gezeigt wird, ergibt sich Abb. 2, die deutlich zeigt, dass die Liga mit dem größten Konzentrationsprozess die Premier League ist. Die Kurven für Deutschland, Spanien und Italien haben mehr oder weniger den gleichen Verlauf. Anders gesagt: Die Liga mit der größten Ungleichheit zwischen den Vereinen ist die Premier League. Je weiter eine solche Kurve von der Diagonalen entfernt steht, desto größer die Verschiedenheit der Vereine. Solche Kurven werden von Ökonomen verwendet, um soziale Ungleichheit quantitativ zu erfassen (mit dem so genanntem "Gini Index").

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12593



Betrachtet man die europäischen Ligen, stellt man sofort fest, dass in den letzten zwanzig Jahren nur wenige Vereine den jeweiligen nationalen Meistertitel gewonnen haben. In Spanien erwartet man den Sieg von Real Madrid bzw. Barcelona jahrein, jahraus. Nur viermal in den letzten 20 Jahren hat ein anderes Team die Primera Division gewonnen. In der Premier League hat Manchester United in den letzten zwei Jahrzehnten 60% der Titel errungen, die höchste Quote bei den vier hier überprüften Ligen.

Festzustellen ist eine offensichtliche Korrelation zwischen dem Transferwert eines Teams und der Anzahl seiner Meistertitel. Es handelt sich um einen Prozess des positiven Feedbacks: Wertvollere Vereine gewinnen häufiger, erhalten deswegen mehr Einnahmen aus Fernsehen und Merchandising, können deshalb immer kostspieligere Spieler verpflichten, usw. Die Bundesliga ist trotz des Konzentrationsprozesses noch etwas kompetitiver, weil die Fernseheinnahmen zwischen den Teams nach einem vereinbarten Schlüssel geteilt werden. Nicht so in Spanien, wo Barcelona und Real Madrid eigene und viel größere Fernsehumsätze als der Rest der Liga haben.

Abb. 3 zeigt, wie viel es kostet, Meisterschaften zu "garantieren". Die horizontale Achse ist der kumulative Wert der Teams. Die zwei größten spanischen Vereine z.B. stellen bereits etwa 43% des Werts der Liga dar. Die vertikale Achse ist der Prozentsatz der gewonnenen Liga-Titel in den letzten 20 Jahren. Für Spanien z.B. ergeben sich in diesem Zeitraum mit etwa 43% des Marktwertes bereits 80% der Titel. Wie man sieht, fallen die meisten Titel auf nur wenige Vereine, die den größten Teil des Ligawertes darstellen. Die Kurven flachen ab dem Moment ab, wo kaum zusätzliche Vereine eine Chance haben, den Titel zu gewinnen.

Es ergibt sich folgende Situation: In Spanien garantieren 50% des Liga-Transferwertes (drei Vereine) 85% der Meistertitel. In Italien sind vier Teams für 50% des Wertes der Liga verantwortlich und sie erhalten auch 85% der Titel. In der Premier League spielen fast nur vier Teams um die Meisterschaft: Sie bringen es auf 45% des Werts der Liga und erhalten 90% der Titel. Nur die Bundesliga ist wiederum etwas ausgeglichener: Hier braucht man 7 Vereine, um auf 95% der Titel zu kommen, obwohl 50% der Titel in den letzten 20 Jahren auf die Bayern entfielen. Trotz aller europäischen Unterschiede zeigen die Kurven deutlich, dass die Vereine, die etwa 60% des Werts der Liga darstellen, durchschnittlich ungefähr 9 von 10 Titeln gewinnen. Alles andere ist ein Betriebsunfall, der nie ausgeschlossen werden kann, der aber immer unwahrscheinlicher wird.

In Abb. 3 erreichen manche Kurven nicht 100% der gespielten Titel, weil inzwischen Titelträger in die zweite Liga abgestiegen sind. Kurios ist auch Manchester City, der erste Punkt in der Reihe der Premier League: Der Verein hat in den letzten 20 Jahren keinen Meistertitel gewonnen, ist aber derzeit der teuerste Club in England und liegt standesgemäß auf dem ersten Platz in der laufenden Saison.

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12594

Abb. 3 ist deswegen so interessant, weil sie anschaulich macht, dass im Fußball die teuersten Vereine am Ende regelmäßig gewinnen, und wie viel dafür zu investieren ist. Es ist die Gewinn-Investitionskurve des Fußballs. Es gibt selbstverständlich Fußballwunder, z.B. als Kaiserslautern die Bundesliga gleich nach dem Aufstieg gewann. Es gibt auch sehr effiziente Vereine wie Manchester United, die mit nur 12% des Werts der gesamten Liga 60% der Meistertitel in der Premier League abräumen. An diesem Maßstab gemessen ist der Trainer Sir Alex Ferguson ein Finanzgenie, das ständig die getätigte Investition verfünffacht. Ferguson ist zweifellos der König Midas des Fußballs.

Man kann also im Fußball einen Titel nur gewinnen, wenn die Konkurrenz finanziell in Grund und Boden gestampft wird. Der Scheich Sulaiman Al-Fahim, ein Mann ohne Geldprobleme, hat das verstanden. Er wollte für die Abu Dhabi United Group nicht nur Manchester City, sondern dazu noch Chelsea haben. Zusammen wären das über 25% des Wertes der Premier League gewesen und die Investition hätte auf Dauer etwa die Hälfte der Meistertitel eingebracht (nach dem erwarteten Verlauf der oben besprochenen Kurven). Der Kauf von Chelsea hat sich nicht materialisiert, der Scheich bleibt aber auf der Lauer.



Quelle: Nur Geld schießt Tore | Telepolis (http://www.heise.de/tp/artikel/36/36366/1.html#36366_1)


Ich finde das mal eine ganz interessante Aufstellung in Europa, und da sieht man ganz klar auch im Fussball hat nur der jennige langfristig Erfolg der wirtschaftlich am besten dasteht, wobei es widerum ein Unterschied so wie wir in der Bundesliga wirtschaften oder wie Spanien und Italien bzw. England wirtschaften, aber das ist wohl wieder ein anderes Thema.

Sobald der zweite Teil vorhanden ist werde ich ihn Euch auch hier präsentieren...

mfg

Snitlev
15.02.12, 11:19
Fortsetzung Teil 2

Fast all WM-Titel haben in den letzten 50 Jahren die neun teuersten Mannschaften erzielt


Im Fußball entscheidet nicht allein der Marktwert über Sieg oder Niederlage. Der Transferwert ist jedoch ein Indikator für die Güte eines Teams und die Leistung ihrer Spieler. So gesehen lohnt sich ein Blick in die Tabelle des Marktwertes der neun teuersten Mannschaften, die bei der WM-2010 in Südafrika auftraten (Tab. 2).

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12608

Es sind die üblichen Verdächtigen: Spanien, England, Frankreich, Brasilien, Argentinien, Italien, Deutschland, Portugal und die Niederlande. Auf diese wenigen Länder fallen bis heute alle WM-Titel minus zwei (vor der Globalisierung des Fußballs war Uruguay zweimal Weltmeister). Seit 1966, d.h. seit fast 50 Jahren, haben sich nur Teams aus dieser Neuner Gruppe am Endspiel beteiligt - mit der Ausnahme von Portugal, das regelmäßig enttäuscht.

Man könnte sogar Zeit sparen, wenn man die Weltmeisterschaft ausschließlich unter diesen neun Teams austragen würde. Wegen der vielen Spiele im Turnier ergeben sich bei der WM meistens keine großen Überraschungen wie bei der Europameisterschaft, wo kleine Länder wie Dänemark oder Griechenland auch mal gewinnen können.

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12610

Die Korrespondenz des Marktwerts einer Nationalmannschaft mit dem FIFA-Ranking bietet interessante Einblicke. Das Ergebnis ist in Abb. 4 zu finden. Das FIFA-Ranking läuft von links nach rechts von 200 zu 1, während der Transferwert zwischen 0,10 Millionen und bis zu 650 Millionen (Spanien) beträgt. Man beachte den logarithmischen Maßstab des Transferwertes. Dies bedeutet, dass der Transferwert exponentiell steigt, je näher ein Team zu der Spitze ist.
Bei der WM-2010 war deutlich zu beobachten, dass man, abgesehen von Neuseeland und Südkorea, keine wirklich "kleinen" Mannschaften mehr gesehen hat. Jeder WM-Spieler war im Durchschnitt mindestens eine Million Euro Wert, da die besten afrikanischen und asiatischen Spieler ihr Geld längst in Europa verdienen.



In den letzten zwei Jahren hat sich der Transferwert der Nationalmannschaften geändert, deren FIFA-Ranking ebenfalls. Möchte man die verschiedenen Mannschaften vergleichen, bieten sich hierfür zwei Möglichkeiten: Man kann den Transferwert der Nationalmannschaften oder die Anzahl der FIFA-Punkte vergleichen. Am besten ist es, beides zu tun, wie Tab. 3 zeigt:

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12609

Diese Daten habe ich zweidimensional in Abb. 5 aufbereitet. Spanien steht isoliert oben rechts (teuerste und besser gerankte Mannschaft), aber zwei klare Gruppen sind auszumachen: die "Kernländer" des Fußballs und der Rest. Griechenland und Dänemark sind overachievers. Mit relativ preiswerten Mannschaften haben beide ein sehr gutes FIFA-Ranking und konnten vor nicht allzu langer Zeit je einen EM-Titel gewinnen.

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12611

Benutzt man beide Kriterien (Transferwert und FIFA-Ranking) ist es klar, dass die Gruppe B (Deutschlands Gruppe) sehr schwer ist. Diese sind die Marktpreise für die Teams in den jeweiligen Gruppen und die Summe derer FIFA-Punkte:

http://www.sb-innovation.de/attachment.php?attachmentid=12612

Nach beiden Kriterien ist Gruppe B eindeutig die schwierigste. Da aber Gruppe B weiter gegen Gruppe A spielt, ist die Hälfte AB eigentlich die einfachste (deutlich nach Transferwert, weniger nach FIFA-Punkten). So gesehen ist die "Todesgruppe" nicht so furchtbar.



Das System der FIFA-Punkte ist rein heuristisch und ohne viel Aufklärung eingeführt worden. Die Idee ist, dass Mannschaften in Turnieren immer um Rankingpunkte kämpfen. Gute Mannschaften gewinnen Punkte, wenn sie schwächere Teams schlagen, aber nicht so viele, als wenn ein schlechtes Team eine Fußballpotenz übertrifft. Der Grund dafür ist, dass wir eigentlich den Sieg der stärkeren Mannschaft erwarten. Teams, die über sich selbst hinauswachsen, werden mit mehr FIFA-Punkten belohnt.

Eine andere Art von Ranking wird mit ELO-Punkte erstellt. Das ist das System, das beim Schach verwendet wird. Das ELO-Ranking eines Schachspielers ist ein sehr guter Indikator für dessen Spielstärke. Die Differenz der ELO-Punkte bei zwei Schachspielern ist außerdem eine gute Messlatte für die Gewinnwahrscheinlichkeit des stärkeren Spielers. Beim Fußball gibt es seit 1997 ELO-Rankings und diese kann man für eine Berechnung der Gewinnwahrscheinlichkeit verwenden.

Die bei ELO-Rankingdifferenzen benutzte Berechnungsvorschrift ist eine sogenannte logistische Funktion. Bei ELO-Differenz von Null kann jeder der Spieler mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% gewinnen. Ist die ELO-Differenz sehr groß, steigt die Gewinnwahrscheinlichkeit asymptotisch gegen 1, während für den schwächeren Spieler die negative ELO-Differenz seine Gewinnwahrscheinlichkeit gegen Null drückt.

Wozu braucht man solche Gewinnwahrscheinlichkeiten? Etwas naiv und idealistisch gedacht, könnte man sie in einer mathematisierten Welt benutzen, um den Gewinner eines Spieles im Voraus zu ermitteln. Das Stadium wäre voll, man würde dann nur nach den ELO-Wahrscheinlichkeiten würfeln und den Gewinner bekanntgeben können. Die Zuschauer würden jubeln und die Spieler würden sich an den Hals fallen. Nach vielen Spielen mitteln sich alle Ergebnisse aus und wir erhalten dieselben Gewinnwahrscheinlichkeiten, als ob die Spiele wirklich stattgefunden hätten.

Ich übertreibe natürlich. In der realen Welt sind jedoch die Gewinnwahrscheinlichkeiten für die Betreiber von Wettbüros wichtig und interessant. Die Gewinnquote für Sieg oder Niederlage ergibt sich zunächst einmal aus diesen Wahrscheinlichkeiten. Allerdings interessieren sich die Betreiber und Wettprofis eher für die Metaebene, für das was das Publikum denkt, wer wohl am Ende gewinnen wird. Ist das lokale Publikum zu optimistisch und wettet zu viel auf das eigene Team, könnte bei niedrigem Einsatz für das andere Team vielleicht ein guter Gewinn eingefahren werden.

Damit treffen wir die etwas unterbeleuchtete Unterwelt des Sports: die Wettbüros, vor allem jene in Asien. Die Premier League z.B. wird dort so intensiv verfolgt, weil bei dieser Liga große Wetteinsätze getätigt werden. In Singapur verliert jeder Erwachsene pro Jahr durchschnittlich 1.174 US-Dollar bei Wetteinsätzen. In Hong Kong sind es 503 Dollar. Während Barcelona auf seinem Trikot für UNICEF wirbt, ziert das Trikot von Real Madrid das Logo der Wettbetreiber "bwin". Andere Wettbüros haben zusätzliche Teams und Sportfiguren unter Vertrag.

Eine solche Erscheinung aus der Unterwelt des Sports habe ich vor Jahren am Rande einer Tagung über Zeitreihenanalyse kennengelernt. Bei Zeitreihen versucht man, ökonomische Prognosen mathematisch zu begründen, z.B. zukünftiges Wirtschaftswachstum. Der Wettanalyst war aber da, um die neueste Verfahren zu verstehen und für seine Zwecke zu verwenden. Wie er erzählte, wollte sein Unternehmen immer "innovativere Wettprodukte" unter den Mann bringen, sodass am Anfang des Spiels nicht allein auf Sieg oder Niederlage gewettet wurde.

Das Ziel ist, über 90 Minuten immer neue Wetten anzubieten. Liegt Bayern 2 Tore zurück, kann man wetten, dass in den letzten 15 Minuten der Ausgleich erzielt wird. Hat Cristiano Ronaldo noch nicht getroffen, kann man wetten, dass dies in der zweiten Hälfte geschieht. Man kann auf Tordifferenzen, Torzeiten, und alles Mögliche wetten (man braucht nur eine der Webseiten der Wettbetreiber am Spieltag zu erspähen). Der Glücksspieler soll am Fernsehen (oder Bildschirm) kleben und ständig neue Wetten einreichen können. Die Quoten für solche sehr speziellen Wetteinsätze müssen aber berechnet werden. Für Wettbüros ist ein Fußballspiel letztlich nur eine Zeitreihe über 90 Minuten, bei der die Gewinnwahrscheinlichkeit eines jedes Teams laufend ab- oder zunimmt und die Wahrscheinlichkeit von seltenen Ereignissen (und solche sind die Tore) berechnet werden muss. Dafür scheuen Wettbüros keine Kosten und haben Helfer, die laufend die Partie, die verteilten gelben und roten Karten, die Schüsse aufs Tor usw. erfassen, um die Algorithmen mit den neuesten Daten am Laufen zu halten.

Fußball ist ein Sport, ist aber wie der Rest der Gesellschaft, nicht schlechter aber auch nicht besser. Am Ende bestimmen große Investitionen den Verlauf der Turniere, angefangen mit den nationalen Ligen und endend mit Welt- bzw. Europameisterschaften. Jeder, der als Kind Fußball gespielt hat, kann sich bei einem guten Spiel begeistern. Man sollte aber nicht außer Acht lassen, das Geldflüsse auf alle Ebenen (bei der FIFA, zwischen den Vereinen, und sogar bei Wettbüros, die als Sponsoren auftreten) das Spiel maßgeblich beeinflussen. Nur wenige Mannschaften schaffen Wunder bzw. haben einen Rehhagel, der von sich selbst meinte: "Wozu braucht meine Mannschaft Doping? Sie hat ja mich." Die anderen müssen sich mit Geld dopen.



Quelle: Fast all WM-Titel haben in den letzten 50 Jahren die neun teuersten Mannschaften erzielt | Telepolis (http://www.heise.de/tp/artikel/36/36367/1.html#36367_2)

Wie angekündigt der zweite Teil.

mfg