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View Full Version : [FAQ] Trauriger Alltag: AG Charlottenburg, Urteil vom 20.05.2011, Az. 220 C 224/10



Snitlev
10.06.11, 08:44
Am Mittwoch bekam ich eine Nachricht von Herrn X, der freundlicherweise seine Unterlagen zur Verfügung stellt und die Bitte äußerte zu prüfen, ob wir nicht über seinen Fall berichten wollen. Im restlichen Schreiben wurde deutlich, dass Herr X harte Worte gegen diese richterliche Entscheidung und zum deutschen Rechtssystem fand. Diese möchte ich lieber nicht näher darlegen.
Nach langem hin und her überlegen, konnte man sich aber nur entschließen darüber zu berichten. Nicht um den Betroffenen einen weiteren Seitenhieb zu verpassen, sondern um aufzuzeigen, dass dieses negative Urteil eigentlich klar unsere Defizite der letzten Jahre aufzeigt. Schwieriger wird es wohl eher sein, sachlich zu bleiben.




Herr X wurde abgemahnt, gab eine modifizierte Unterlassungserklärung ab, zahlte aber den geforderten Betrag nicht, da er die vorgeworfene Rechtsverletzung nicht getätigt hatte. Nach dem Einschalten eines Inkassounternehmens, im späteren Verlauf eines Baden-Badener Rechtsanwaltsbüro sowie der Weigerung die Forderungen nicht zu zahlen, wurde vorm Amtsgericht Charlottenburg Klage erhoben.




Herr X, Akademiker und selbst Techniker, glaubt an die Gerechtigkeit, seiner Unschuld, seinen naturwissenschaftlichem Wissen und Kenntnissen und kommt wahrscheinlich zum Schluss, das man zur eigenen Verteidigung keinen Rechtsanwalt mehr benötigt.

Originalzitat Herr X:
[...]Es ist schwer in Worte zu fassen, was für eine Schweinerei man sich bietenlassen muss und was ein Gericht hier als Recht spricht. Erstaunlich auch, dass ein Messverfahren ohne Fehlerbetrachtung als gerichtsverwertbar anerkannt wird.[...]

Die Verteidigungsstrategie basierte im Kern auf einer offensichtlichen Unrichtigkeit.


Voraussetzungen einer offensichtlichen Unrichtigkeit:
1. Schreibfehler
2. Rechenfehler
3. ähnliche Unrichtigkeiten
z.B. Übertragungsfehler, Fehler beim Ablesen von Tabellen etc. Es muss jedoch immer die Möglichkeit eines Fehlers in der Rechtsanwendung ausgeschlossen sein.
4. Offenbar
Wenn sie auf der Hand liegt und für die Beteiligten ohne großes Nachforschen erkennbar sind.
5. Ausnahme
Übernahmefehler von Amt bzw. von Gericht wegen.




1. Eine Schweizer Protokollierungsfirma ("Log-Firma") ermittelte die IP-Adresse 87.151.22.214; im Auskunftsverfahren wurde vom Provider der Anschluss von Herrn X beauskunftet; in einer späteren Selbstauskunft des Abmahners nach § 34 BDSG, wurde jetzt aber die IP-Adresse 87.151.22.124 benannt; im Verfahren aber wieder von der ermittelten und beauskunfteten IP-Adresse 87.151.22.214 geredet.

Zahlendreher:
Log-Firma, Provider, Gericht: XXX.XXX.XXX.214
Selbstauskunft § 34 BDSG: XXX.XXX.XXX.124

Beweisführung zur Untermauerung möglicher technischer Fehler, ein englischsprachiger naturwissenschaftlicher Artikel: "Challenges and Directions for Monitoring P2P File Sharing Networks" sowie ein Bericht der Berliner Zeitung: "Die Abmahn-Industrie".

2. Unwahre Tatsachenbehauptung der Klägerseite, dass es sich bei der GUID um die unveränderliche Kennnummer des PC (vergleichbar mit der Fahrgestellnummer eines Kfz.) handelt.

siehe Bild: http://www.initiative-abmahnwahn.de/wp-content/uploads/agCB.jpg

3. Entkräftung der Störerhaftung
- Auf dem zur Verfügung gestellten dienstlichen Rechner war die benannte P2P-Software installiert und die Administrationsfunktionen eingeschränkt. Auf den anderen Rechnern der Familienangehörigen habe sich keine P2P-Softeware befunden.
- zum Log-Zeitpunkt hätten alle Familienangehörigen geschlafen
- möglicher unbekannter Dritter

4. Klageabweisung aufgrund fehlender Beweismittel



Urteil des AG Charlottenburg

siehe Bild: http://www.initiative-abmahnwahn.de/wp-content/uploads/urteil.jpg





Urteil im Volltext: http://www.initiative-abmahnwahn.de/wp-content/uploads/AG_Charlottenburg_220_C_224_10.pdf


Sicherlich auch ein unnötiges negatives Urteil gegenüber dem Beklagten, da wir immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen: mit Erhalt eines Beschlusses zur Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens und Abschrift der Klageschrift – muss ein Anwalt beauftragt werden. Gerade bei einer verlorenen Haas-Klage ist es dann noch doppelt bitter.




Natürlich bin ich kein Experte, werde viele Schlussfolgerungen eher subjektiv beurteilen können, aber wenn, dann schon auf meine liebenswerten Art. Gerade 2011 werden aber die momentan vorherrschenden Defizite auf unserer Seite wieder extrem sichtbar. So extrem und bombensicher ist doch die Vorgehensweise der Gegenseite nun auch nicht, hier wird genau mit vielen Textbausteinen gearbeitet sowie kann man auch nur mit Wasser kochen. Aber, man beschäftigt sich eben nicht mit etwas anderen, bereitet die Schriftsätze qualitativ und "handwerklich" gut vor und "verkauft" sich besser, als wir.

1. Das Verbraucherforum
Viele sind immer genervt von meinem Gemeckere, aber wir möchten ohne juristisches Wissen, ohne mit jemand anderen zu reden, nur aus dem Bauchgefühl heraus und nur mit unseren grandiosen technischen Kenntnissen brillieren. Feinsinnige und ellenlange Postings werden verfasst, wo jeder eigentlich sofort merkt, dass es hier an jeglicher Substanz fehlt.

Originalaussage:
Man soll sich nicht an den Anwälten halten, sondern nach der Forenmeinung richten, der Garant des Sieges über den Abmahnwahn!

Wenn wir aber ausgehen, dass Mitte 2005, die ersten Abmahnung aufschlugen, (damals die berühmten Earth2160-Abmahnungen) befinden wir uns mittlerweile im 7. Abmahnjahr.

Hört keiner auf uns, oder ist unsere Meinung einfach nicht das Posting wert!?

Im Gegensatz zu den Anfängen im damaligen Gulli:Board 2005, hat sich heute nicht sehr viel geändert. Es gilt nur die Meinung, des entsprechenden Forums bzw. Einzelnen; andere Meinungen werden nicht akzeptiert oder toleriert; wer es sich doch wagt, dem hetzt die Forengemeinschaft bzw. man verschiebt, editiert oder löscht diese Meinung radikal aus. Dieses wird dann, von den notorischen Ja-Sagern und Mitläufern mit frenetischem Beifall oder nur feigem Schweigen honoriert.

Originalaussage:
Die Betriebsruhe (Geschwalle) von Einzelnen (meist nicht die des gesamten Forums) geht vor!

Wir sind im Gegenteil zu erbitterten Konkurrenten untereinander geworden, wo nur eines zählt:
1. Ich – und dann eine Weile nichts – bin der eine und große Abmhanwahn-Hulkster
2. Viel und schneller Ruhm und Erfolg, mit wenig Einsatz von persönlicher Zeit, Arbeit und Mitteln
3. Mein Erfolg, sorry, natürlich der der Gemeinschaft, um jeden Preis. Durch die "momentan anhaltende Pechsträhne" sind wir regelrecht zum Erfolg verdammt und das mit allen Mitteln.

Originalaussagen:
Einem Verbraucherforum (dabei sind Namen nur Schall und Rauch), das eine gute Aktion, die einer Spendenaktion, organisiert, plant und durchführt, ist es nicht mehr wichtig, das es um den einen, dem Abmahnwahn beendeten Prozess geht, sondern hier zählt jetzt 2011 Erfolg mit allen Mitteln. Jeder Prozess, jedes Verfahren, jeder Artikel, der nur einen Hauch von Optimismus und Erfolg verspricht, wird mit Akribie aufgenommen, um demjenigen sofort aus dem Spendentopf wirtschaftliche Mittel zuzusichern. Natürlich um sich jetzt zu präsentieren: Erst mit meiner/unserer Aktion, wurde dieses Ergebnis erreichbar! Dabei wird das ganze verlogene Gerede schnell sichtbar, wenn man sieht, das ein/der Mitentscheider (, wenn er dann auch noch mitentscheiden will), schnell ausgebootet wird, für den eigenen und alleinigen Ruhm.

Letztendlich ist es ein Kampf der Egomanen und selbstherrlichen "Persönlichkeiten" (wo ich dabei mich nicht ausschließe), die sich gern hinter der eigenen Anonymität verstecken, um selbst nicht erkennbar und haftbar zu sein. Frenetischer Jubel und Verehrung aus der Gemeinschaft ist wichtiger als Wissen und Kenntnisse über die tagtäglich vorherrschende Realität. Grundsätzlich sind wir schlauer als Gott. Man sagt immer wieder, dass der Betroffene über den Tellerrand schauen sollte, meint aber nur seinen eigenen kleinen Teller. Auch, wenn ich einfach nicht dumm genug bin, die deutsche Forenwelt ernst zu nehmen, sollte man, wenn man schon nicht miteinander agieren kann, zumindest auf die Werte des Informierens, Helfens und der Aufklärung durch juristisches Wissen zurückfinden. Kein Foren-User wird dem Abmahnwahn Einhalt gebieten und auch kein Forenanwalt, der selbst bemüht ist, tagtäglich alberne Postings zu verfassen sowie sich im Schoss der Gemeinschaft auszuheulen, wenn er aufgrund eigener Fehler einen "Denkzettel" erhält.





Immer wieder ist in den Foren zu hören, dass die Gegenseite keine Beweise hätten, die Log-Firmen schlampig arbeiten und die Abmahnanwälte nur geldgierig wären. Warum geht aber in letzter Zeit alles für uns in die Hose? Es ist unser Arroganz, Ignoranz und das Überbewerten der naturwissenschaftlichen Seite über der juristischen. Die juristische Definition der Wahrheit ist aber nun einmal als ein ganz andere, als die der Naturwissenschaft. Aber auch hier setzt sich nur fort, dass wir alles besser wissen, die Arbeit für die Anwälte mitmachen müssen, die Schnellchecker der Firma "Langsam" sind und zu jeder mod. UE ein ausführliches Begleitschreiben anheften oder vor Gericht und selbst vertreten. Denn einen Anwalt braucht man ja nicht.

Schwerpunkte:
1. Die schon minimalistische mod. UE wird zu einem Do-it-yourself-Baukasten, wo jeder seine Variante verfasst, die ihm genehm ist.
2. In Begleitschreibe zu den mod. UE's schreibt man sich um Kopf und Kragen (z.B. Benennung des Täters oder Erklärung der konkreten Situation).
3. Mit der Gegenseite wird telefonisch Kontakt aufgenommen und sich um Kopf und Kragen (heraus)geredet.
4. Es wird Wert gelegt auf Propaganda (Massenabmahnung, Betrug usw.), statt mittels Beweise und Zeugen seine eigene mögliche Störerhaftung zu entkräften.
5. Nein, ein Beklagter braucht vor dem Amtsgericht keinen Anwalt, lieber verlieren wir.
6. Klageschriften werden Sinnfrei erwidert, merkt man dann, dass man sich in eine ausweglose Lage manövriert hat, wird ein Anwalt beauftragt, über den man sich dann aufregt, wenn er sich vergleicht oder gar verliert.
7. Auch wenn in vielen Fällen verständlich, fehlt das Abstreifen, des eigenen zögerlichen und ängstlichen Vorgehens.

Es muss einfach in Fleisch und Blut übergehen, mit Erhalt einer Klageschrift – muss – ein Anwalt beauftragt werden!




3. Abgemahnte Vertretende
Gerade 2011 wird deutlich, je einfacher man mit einer Abmahnungsvertretung schnelles Geld verdienen kann, desto mehr werden vom Abmahnwahn angezogen.

Einen wesentlichen Anteil an der heutigen frustrierenden Situation müssen sich auch Verbraucherschutzzentralen und Rechtschutzversicherungen zuschreiben lassen. Natürlich sind Gebühren bis ca. 70 EUR oder gar kulanterweise gegenüber den teils höheren Anwaltskosten ein Schnäppchen, schnell wird aber klar, das die Ratschläge meist ein Spiel mit dem Feuer darstellen. Immer wieder ist zu hören, das die Betroffenen zwar richtigerweise eine mod. UE abgeben, aber dann einen Teilbetrag sofort zahlen sollen. Dies wird wohl bei kleineren Abmahnkanzleien so funktionieren, aber bei den Großen sind solche Ratschläge der sichere Weg in einer möglichen Klage.

Jeder Anwalt, der ein Musterschreiben herunterladen und ausfüllen kann, ist eine Experte für Urheberrecht, gehört zu der Champions League der Anwälte. Zu dieser Ansicht kann man schnell kommen, wenn man die Informationen sammelt. Sicherlich müssen Personal, Gehälter, Pachten usw. gezahlt werden, natürlich lässt sich schnelles Geld verdienen, aber man sollte doch einmal zu den Ursprüngen – Back to Basic – zurückfinden.

Schwerpunkte:
1. Richtige Abfassung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung
2. Wilde Strategien
3. Fehlendes handwerkliche anwaltliche Kenntnisse zum Urheberrecht
4. fehlende Prozesserfahrung
5. Geld geht vor den Interessen des Mandanten
6. fehlender Einsatz und Qualität bei Schriftsätzen bzw. Klagen usw.

Natürlich ist dies kein Constantinischer-Rundumschlag auf alles, was eine schwarze Robe trägt. Sicherlich gibt es sehr viele gute Beispiele, aber in der Regel misst man eben immer an den Schwächsten. Sicherlich ist mit der Abfassung einer mod. UE, einer vorbeugenden mod. UE, eines geschnürten Rundum-Sorglospaketes bestimmt mit wenig Aufwand viel Geld zu erzielen, als mit einem qualitativ guten Vortrag hinsichtlich einer Klageerwiderung, wo man sehr viele Stunden über Gebühr investieren muss. Wir müssen doch einmal abgehen, dass wir schon eine gewonnene Haas-Klage oder ein Beschwerdeverfahren als das Nonplusultra des Abmahnwahns feiern.




Was will ich erreichen?


Erreichen will ich, das alle Beteiligten sich diesen Artikel hernehmen und darüber diskutieren und berechtigte Kritik umsetzen. Wer sich eine Jacke anzieht, die ihm nicht passt, beleidigt reagiert, das ist sein Problem (nicht meines). Ich bin weder auf Partnersuche oder bei Diddlmaus. Es gilt endlich einmal Erfolg zu verbuchen, aber mit fleißiger Arbeit und nicht mit dem Versprechen des Blauen vom Abmahnhimmel.



Quelle: Abmahnwahn-Dreipage Aktuell (http://abmahnwahn-dreipage.de/aktuell.html)

Hier können wir mal wieder so einen typischen Fall betrachten und darüber diskutieren.

Es gibt ja auch hier mittlerweile genügend Fälle, die es ohne rechtliche Unterstützung eines Rechtsanwalts geschafft haben, aber das heißt ja nicht das es auch immer gut ausgeht!
Ich kann nur jedem einzelnen raten, sich zumindest vorab zur Selbsteinschätzung einen ersten kostenlosen Anruf eines fachkundigen Rechtsanwalts einzuholen...

Wie man deutlich in diesem Fall sehen kann, ist hier der Schuß nach hinten los gegangen und der Beklagte hat nun die ganzen Kosten inkl. Gerichtskosten alleine zu tragen!

mfg